In der
Ukraine herrscht Krieg, zahlreiche Tote und Verletzte sind zu beklagen – auch
in der Zivilgesellschaft. In den umkämpften Gebieten werden Wohnhäuser und die
öffentliche Infrastruktur in Mitleidenschaft gezogen, zum Teil komplett
zerstört. Unzählige Menschen befinden sich auf der Flucht, laut UN-Flüchtlingshochkommissariat sind bis 03.03. bereits ca. 875.000
Ukrainer*innen über die Grenzen geflohen. Ihr Weg führt sie fast ausschließlich
auf das Territorium der EU, hauptsächlich nach Polen, aber auch nach Ungarn,
Rumänien und in die Slowakei. Zugleich wird eine Rüstungsspirale in Gang
gesetzt, in deren Dynamik der 100 Milliarden umfassende Sondertat der deutschen
Bundesregierung ein vorläufiges trauriges Highlight darstellt.
Während
hierzulande angeblich seriöse Medien von einer neuen Runde im Kampf der
Kulturen schwadronieren und ihren Huntington aus dem Regal kramen, zeigen
zivilgesellschaftliche Akteure vor Ort und im restlichen Europa, was
Solidarität und Mitmenschlichkeit bedeuten. In beeindruckendem Tempo werden
Decken, Schlafsäcke und Zelte gesammelt, Essen gekocht, Mitfahrgelegenheiten
und Schlafplatzbörsen organisiert. In der russischen Zivilgesellschaft regt
sich zudem immer mehr Widerstad gegen das politische Regime und seinen Krieg.
Es ist wunderbar, all das in diesen Zeiten zu beobachten.
Auch die
Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten wollen dem in nichts nachstehen und
verkünden vollmundig eine umfassende Aufnahme der aus der Ukraine fliehenden
Menschen und versprechen ihnen beschleunigte Verfahren. Die EU möchte erstmalig
die sogenannte "Massenzustrom"-Richtlinie aktivieren, die
Kriegsflüchtlingen ohne ein aufwendiges Asylverfahren Schutz garantiert.
Diese
Kehrtwende der Mitgliedsstaaten und der EU-Bürokratie sind unbedingt zu
begrüßen. Es muss momentan alles daran gesetzt werden, die Kriegshandlungen auf
dem Territorium der Ukraine zu beenden und den Betroffenen schnellen,
unbürokratischen und umfassenden Schutz zu gewährleisten!
Und doch
versetzt uns diese Kehrtwende auch in ein gewisses Erstaunen und
Fassungslosigkeit. Gerade noch blockierten Staaten wie Polen die Aufnahme von
Flüchtenden an der Grenze zu Belarus. Tag für Tag sind Push-backs, Gewalt und
Tod im Mittelmeer oder etwa an der griechischen Außengrenze auf der
Tagesordnung. In Syrien herrscht nach wie vor staatlicher Krieg gegen die
eigene Bevölkerung und die kurdisch verwalteten Regionen stehen unter
dauerhaftem Beschuss von mehreren Seiten. Von dort, wie auch aus vielen anderen
Regionen machen sich Menschen tagtäglich auf gefahrvolle Fluchtwege und die EU
kennt in aller Regel kaum Erbarmen. In Libyen sorgt bspw. eine sogenannte
Küstenwache mit Unterstützung und unter expliziter Tolerierung der EU für Leid und
Elend – und insbesondere dafür, dass sich so wenige Menschen wie möglich auf
die Bootsfahrt Richtung Europa machen.
So sehr wir
vor diesem Hintergrund die unbedingte Aufnahmebereitschaft und Versorgung
ukrainischer Geflüchteter begrüßen, kritisieren wir zugleich die Selektivität
der EU im Umgang mit Menschen, die unter Krieg und Perspektivlosigkeit leiden.
Eine Selektivität, die sich übrigens trotz aller Bekundungen einer allgemeinen
Aufnahmebereitschaft schon jetzt an der polnischen Außengrenze zu reproduzieren
scheint: wie die Tagesschau und andere unabhängige Beobachter*innen berichten,
wurden Menschen nicht-weißer Hautfarbe offenbar an der Einreise gehindert.
Wir
schließen uns dem Plädoyer der im polnisch-ukrainischen Grenzgebiet tätigen,
flüchtlingssolidarischen Organisation Ocalenie aus Polen an: Wir möchten in einem Land leben, in dem
Flüchtlinge nicht nach Hautfarbe, Glaube oder Ethnie unterschieden werden!
Wir fordern: Öffnet die Grenzen für alle von Krieg und
Perspektivlosigkeit betroffenen Menschen - egal welcher Herkunft!
Aktuelle Informationen und Zahlen finden sich bspw. beim UNHCR oder dem Mediendienst Migration.
Berichte von der ungarisch-ukrainischen Grenze finden sich u.a. bei Bordermonitoring.