Sonntag, 23. Dezember 2018

Redebeitrag von Dr. Maria Möller zu FlüRa-Demo am 22.12.2018

Am 22.12.2018 veranstaltete Der Augsburger Flüchtlinsgrat am Königsplatz die Kundgebung "offen und solidarisch fetzt". Wir freuen uns sehr, dass wir dazu zahlreiche Redebeiträge von befreundeten Organisationen gewinnen konnten - darunter Seebrücke Augsburg, Brechtkreis e.V., Medizinische Flüchtlingshilfe, Europa-Union Augsburg e.V., Feministische Aktion Aux, Offene Linke Ries und Bündnis junger Antirassit*innen Auxburg (bujaa)...

Unsere Pressemitteilung kann hier gelesen bzw. hier heruntergeladen werden.

Nachfolgende stellen wir den Redebeitrag von Dr. Maria Möller zum Nachlesen bereit:

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22.12.2018

Liebe Augsburger, liebe Zuhörer,

vor einem Jahr bin ich auch an dieser Stelle gestanden.
Leider hat sich in diesem Jahr nichts verbessert, im Gegenteil, die politische Situation wird immer menschenverachtender!- Abschiebungen und Lager dürfen nicht zur Routine werden und darum ist es wichtig, dass hier wieder eine Kundgebung stattfindet und ich hier stehen kann –

Ich bin Dr. Maria Möller, allgemeinmedizinisch tätig in Gemeinschaftspraxis mit Dr. Elisabeth Friedrichs, die neben mir steht und wir haben uns seit 2015 intensiv mit Flüchtlingen befasst, in den damaligen Erstaufnahmen in Augsburg. Wir haben die medizinische Flüchtlingshilfe mit aufgebaut und leiten beide naturheilkundliche traumaorientierte Projekte - Frau Friedricha NADA Akupunktur im Grandhotel und ich eine Homöopathische traumaorientierte Ambulanz in den Räumen von Tür an Tür.
Wir kennen also die Sorgen und Nöte der Geflüchteten. Viele sind krank und unsere Asylpolitik zerstört Menschen.

40% der zu uns gekommenen Menschen sind traumatisiert, das ist fast jeder 2.! und sie leben in Angst und Anspannung!!! Wie kann man unbeschwert weiterleben, wenn der Vater ermordet, die Tochter missbraucht wurde oder man in Libyen Folter, Vergewaltigung und Todesangst erleben musste?

Kopfschmerzen, chronische Schmerzen allgemein, Nervosität, Schlafstörungen sind nur die Spitze des Eisberges. Meist werden diese Beschwerden nur mit Tabletten behandelt werden oder gar als hysterisch abgetan. Menschen werden aus der Sprach-Schule geschmissen, weil sie nicht stillsitzen können oder aufgrund von Konzentrationsstörungen nicht lernen können. Stress führt zu psychischen Störungen, Aggressionen, Suchterkrankungen, viele Probleme im Sozialbereich, die zu Vereinsamungsgefühlen führen – ein Super-Angriffspunkt für extremistische Gruppen!
Er führt aber auch zu körperlichen Beschwerden, so besteht z.B. ein Zusammenhang zwischen Depression und späterer Erkrankung an Diabetes (die unser Sozialsystem belasten). Leider gibt es viele in unserer Bevölkerung, die in den Beschwerden einen „sekundären Krankheitsgewinn“ sehen, also einen Aufschub der Abschiebung aus gesundheitlichen Gründen. Dabei haben viele ihre Traumatisierungen gar nicht geltend gemacht oder wissen gar nichts davon, denn über schwere Traumatisierungen kann man nicht sprechen. Die Erfahrungen werden zerstückelt im Gehirn abgespeichert und können im Zusammenhang nicht mehr gesehen werden.

Engagierte Psychotherapeuten kämpfen mit der fehlenden Bezahlung von Dolmetschern, können wegen der fehlenden Sprachkenntnisse meist keine Therapien durchführen. Die wenigen Stabilisierungsgruppen- z.B.von HiFF und der Traumahilfe angeboten sind kleine Lichtblicke.

Was Menschen weiter krank macht sind die Bestimmungen und Hürden hier in diesem unserem Land. Die Traumatisierung geht weiter! Die Abschiebungen nach Afghanistan, in ein Land von Krieg und Terror, Verschleppung und Vergewaltigung und mit einer miserablen medizinischen Versorgung- wo jedes14. Kind nicht das Alter von 5 Jahren erreicht! Das Leben in ständiger Angst- bin ich der/die nächste, die abgeschoben wird? Die Dauerbelastung der Geduldeten, zwischen 2 Stempeln zu leben, für Äthiopier z.B. ist derzeit eine monatliche Verlängerung der Duldung erforderlich die neue Verschärfung bei der Verlängerung für Anerkannte: erneute komplette Überprüfung der Papiere,  d.h. alle werden unter den Generalverdacht der Täuschung gestellt.
Zum Thema Familiennachzug: es dauert! Männer warten beunruhigt endlos auf ihre Familie; große Probleme beim Geschwisternachzug- alles ist beantragt, es dauert lange, 1 Tochter, z.B. ist inzwischen 18 Jahre und muss mutterseelenalleine im Ursprungsland zurückgelassen werden- was das für eine Mutter bedeutet muss ich nicht ausführen!
Kinder erleben aufgeregte und ängstliche Eltern und verlieren ihr Selbstvertrauen, das wird in einigen Jahren als Problem wieder auf uns zukommen und schließlich die Lager, Ankerzentren, Rückführungszentren, bald Abschiebezentren: Menschen leben dichtgedrängt und isoliert zusammen mit unzureichender medizinischer Versorgung (nur akute Erkrankungen dürfen behandelt werden), meist ohne Sprachkurse - ohne jegliche Zukunftsperspektive, eine Art „Massentierhaltung“  -
„Lager“- „Ghetto“, diese Wörter sollten uns zu denken geben!
Eines der allergrößten Problem ist die fehlende Arbeit. Arbeitslosigkeit macht krank. Jeder der selbst arbeitslos war, weiß. Dass das Arbeitslosigkeit kein Urlaub ist, und dass der Arbeitslose nicht einfach faul ist...
Mach dem Mordfall in NRW warnte der Kriminologe Pfeiffer: Wer keinen Boden unter der Füßen hat, ist eher in Gefahr, im Konfliktfall sogar zu töten. Wer sozial gut vernetzt ist, beruflich mit klaren Perspektiven unterwegs ist, eine unterstützende Familie hat, hält Frust aus.

Gleichermaßen sagt die Traumaforschung: Psychische Gesundheit ist nicht möglich bei
Angst, bei bei fehlende Sicherheit und bei fehlender Zukunftsperspektive.
Wir dürfen nicht den Kopf in den Sand stecken und uns hinterher über Zwischenfälle wundern, die sich keiner wünscht. Wir müssen weg vom bisherigen Ansatz im Migrationsrecht: da ist Abschreckung, Verteidigung und Abschottung im Vordergrund. Flüchtlinge werden zur Zeit nicht mehr als Menschen mit einzelnen Schicksalen betrachtet, sondern als s solche, die nicht hierher gehören, die man jagen und vertreiben muss.
Wir müssen den §1 der Menschenrechte – alle Menschen sind gleich und das Menschenrecht auf Gesundheit achten! Gesundheit ist ein Menschenrecht!!!Die oberste Pflicht eines Staates ist es , auf die physische und psychische Gesundheit zu achten!
Wir müssen eine offene, tolerante Gesellschaft werden, in der jeder einzelne in seiner gesamten Persönlichkeit und Haltung zählt, unabhängig von Herkunft.
Wir wollen die Menschen anhören, eine positive Haltung heilt einen hohen Prozentsatz von Beschwerden. Wir müssen begreifen, dass wir es mit Menschen zu tun haben!
Lasst uns zusammenhelfen nicht nur die Anpassung der Anderen zu fordern, sondern versuchen wir, die Fremdheit abbauen, für ein selbstbestimmtes Leben miteinander!
Lasst uns zusammen mit den Communities nach gemeinsamen Wegen suchen, nicht mit unserer Überlegenheit! Der Staat muss mehr investieren in die Vorbeugung!

Zum Abschluss möchte ich noch auf einen Fachtag hinweisen, der für alle offensteht. FiLL e.V: veranstaltet am Samstag den 2. Februar 2019 einen Fachtag „Interkulturelle Medizin“ im Augustanasaal, wozu jeder eingeladen ist.

Wir müssen ein neues Verständnis von Fremdheit bekommen, mit Wertschätzung der Individualität
und der Wahrnehmung von Unterschieden und Gemeinsamkeiten
Wir brauchen VIELFALT!


Dr. med. Maria Möller, Augsburg

Samstag, 22. Dezember 2018

FlüRa-Pressemitteilung zur Kundgebung "offen und solidarisch fetzt!" am 22.12.2018


Pressemitteilung des Augsburger Flüchtlingsrates
 22.12.2018

„offen und solidarisch fetzt“ - Kundgebung im Kerzenschein für eine offene und solidarische Gesellschaft 

 

Trotz widriger Witterung versammelten sich am Samstag insgesamt knapp über hundert Menschen auf dem Königsplatz, um unter dem Motto „Offen und solidarisch fetzt“ gegen die zunehmende Entsolidarisierung und Ausgrenzungstendenzen in der Gesellschaft zu protestieren. Der Augsburger Flüchtlingsrat, der zur Kundgebung aufgerufen hatte, wandte sich insbesondere auch gegen die anhaltenden und unmenschlichen Abschiebungen nach Afghanistan. In ihrem Aufruf hatten die Veranstalter*innen zum Protest gegen die insgesamt zunehmend menschenfeindliche Migrationspolitik mobilisiert, die sich etwa in den christsozialen Ankerzentren in besonders abstoßender Weise manifestiert. „Wir fordern eine echte Integration von Geflüchteten und die sofortige Schließung der sogenannten AnkER-Zentren“ sagte Franz Dobler vom Augsburger Flüchtlingsrat. „AnkER-Zentren stehen wie alle anderen Lager für Isolation, Ausgrenzung, willkürliche Security- und Polizeigewalt, Verhinderung von Integration und die Beschneidung von Grundrechten der Schutzsuchenden.“ 

Insgesamt dreizehn Redner*innen hatten die Teilnehmer*innen ab 14 Uhr begrüßt, unter ihnen Sprecher*innen von Seebrücke Augsburg, dem Augsburger Brechtkreis, der Medizinischen Flüchtlingshilfe, der Europa-Union Augsburg, der feministischen Aktion Aux, der Offenen Linken Ries, dem Bündnis junger Antirassist*innen Auxburg (Bujaa), wie auch die Studierendenpfarrerin Tabea Baader und weitere Einzelpersonen aus der Flüchtlingsarbeit. Neben den AnkER-Zentren wurde u.a. auch der europäische Beitrag zum massenhaften Sterben von Menschen auf der Flucht nach Europa im Mittelmeer kritisiert. Dies dürfe, so der Kapitän Friedrich Reich von Seebrücke Augsburg, genauso wenig wie die Kriminalisierung der Seenotrettung Teil unserer europäischen Normalität werden. David J. aus Donauwörth prangerte die polizeiliche Einschüchterungstaktik gegenüber politisch aktiven Menschen im dortigen Ankerzentrum im März dieses Jahres an, ebenso wie den institutionellen Rassismus von Sicherheitsbehörden und Justiz, der jegliche behauptete Gleichheit vor dem Gesetz Lügen strafe. „Die Kriminalisierung von Aktivist*innen mit und ohne Aufenthaltsstatus, die sich gegen Abschiebungen oder Lagerunterbringung, Arbeitsverbote, Sachleistungen und Schulverbote wehren, steht für eine reaktionäre und rassistische Politik.“ Ein weiterer Redebeitrag richtete sich direkt an den Stadtrat der Friedensstadt Augsburg und forderte diesen auf, es den Städten Regensburg, Bonn, Köln oder Düsseldorf gleichzutun und ein Zeichen für zivile Seenotrettung zu setzen, indem er sich bereit erklärt, aus Seenot gerettete Geflüchtete direkt und unbürokratisch aufzunehmen. 

Trotz ungemütlicher politischer und meteorologischer Großwetterlage gelang es den Veranstalter*innen vom Flüchtlingsrat jedoch auch, einen Funken von weihnachtlicher Mitmenschlichkeit und gelebter Solidarität zu verbreiten: mit selbstgebastelten Kerzen und heißer Suppe, Tee und Kaffee versorgt, konnten die Kundgebungsteilnehmer*innen sodann mit Mut und einer gehörigen Portion Optimismus des Willens ins neue Jahr blicken: Wir sind viele und wir werden nicht aufhören, für eine offene und solidarische Gesellschaft einzutreten!