Mittwoch, 9. Dezember 2020

"Ich schweige so laut ich kann..." - Gedicht von D. Polat, verfasst anlässlich der Mahnwache "Menschlichkeit Jetzt!" am 06.12.2020

Wir freuen uns sehr, dass unsere Mahnwache "Menschlichkeit Jetzt! - #BayernNimmtAuf" am vergangenen Sonntag trotz widriger Umstände und später Stunde von gut 70 Leuten besucht wurde. Ebenfalls freuen wir uns ganz außerordentlich, dass wir das von Düzgün Polat (ZAM e.V.) eigens für die Mahnwache verfasste Gedicht an dieser Stelle veröffentlichen dürfen. Ein kurzer Bericht zur Mahnwache findet sich bei Aux-Punks.

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Ich schweige so laut ich kann, doch hört man es nicht! - An die Nachgeborenen  

 

„Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten“

Schrieb Brecht an die Nachgeborenen! An uns! An dich! An mich!

Er schrieb das vor fast einhundert Jahren, und ich weiß er schrieb dies sogar in weiser Voraussicht!! Für genau Heute!

An Uns!

            An Dich!

                        An mich!

 

Und nun, in Finsteren Zeiten schreibe ich an Brecht!!

An uns!

            An dich

                        und an mich!

Und vielleicht liest dies jemand,

und die Finsteren Zeiten ändern sich! 

 

Ich bin?

            Ich bin ein?

Was bin ich denn?

Für die einen Wirtschaftsflüchtling!

                                                           Für die anderen eine Welle!

Für die Politik ein illegaler!

Eine Grenzüberschreiterin bin ich auch!

Eine Frau,

            ein Mann,

                        ein Kind!

                                   Ein unbegleiteter Geflüchteter!  

Alles bin ich!! Alles kann ich sein!!

Nur das eine NICHT, ein Mensch, der ich aber sein will, das bin ich nicht!

Darf ich nicht sein!!

 

Ich bin!

            Ich bin ein?

Wer bin ich denn?

Für die einen eine Zahl!

            Für die anderen ein Gefangener!

Für den nächsten ein Sexobjekt! Ein Hassobjekt! Ein Feind!

Ein Etwas, dass hier nicht her gehört!!

Alles bin ich!! Alles kann ich sein!!

Nur das eine NICHT, ein Mensch der Schutz sucht, der ich aber sein will, das bin ich nicht!

Darf ich nicht sein!!

 

Ich bin!

            Ich bin ein!

Wie bin ich denn?

Für die einen stehe ich an der Grenze und darf nicht rein.

Für die anderen ein Leiche auf dem Mittelmeer.

                                               Für die nächsten brenne ich in Moria.

Ich erfriere!

            Ich infiziere mich, werde Krank!

                                                                       Ich werde inhaftiert.

Alles bin ich! Alles kann ich sein!

Nur das eine Nicht, ein Mensch der Leben darf in Freiheit und selbstbestimmt, der ich aber sein will, das bin ich nicht!!

Darf ich nicht sein!!

 

Ich stehe nun hier!!

Schweige so laut ich kann.

                                   Doch keiner hört mich!

Werde nicht gehört.

            Es wird weggehört!

                                   Weggesehen!

                                                           Weggerechnet!

                                                                                   Weggeschossen!

Das alles bin ich! Das alles mache ich!

Nur das eine geschieht nicht, als Menschen anerkannt zu werden, was ich aber will, das geschieht nicht!!

                                   Daher sterbe ich!!

 

Nun bin ich eine Leiche!

            Liege Tot unter der Erde!

                                               Auf dem Meeresgrund!

                                                                                   In Schutt und Asche!

Ich sterbe jeden TAG!

Ich bin unter den Toten.

                                   Tot bin ich!

Um Leben zu können

                                   starb ich!!

Und dies wollte ich nicht,

                                   für keinen Menschen

                                                           und auch nicht für mich!

 

 

04. Dezember 2020

Düzgün Polat