Am 16.12.2017 hat der Augsburger Flüchtlingsrat gemeinsam mit dem Netzwerk Solidarische Stadt Augsburg zu einer Kundgebung "Gegen Abschiebungen in Krieg und Perspektivlosigkeit - Für ein solidarisches Miteinander" aufgerufen.
Für alle die nicht dabei sein konnten oder nochmal nachlesen wollen, präsentieren wir nachfolgend den Redebeitarg von Isabella Geier, die auf der Kundgebung stellvertretend für die Augsburger Helferkreise sprach.
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Keine Abschiebungen aus der Friedensstadt in ein Kriegsland!
Augsburg
ist Friedensstadt. Dieser Titel verpflichtet. Darum wünschen wir Augsburger
Helferkreise uns von unserer Stadt, die uns dieses Jahr den Zukunftspreis
verliehen hat, dass Bürger, Stadträte und Behörden für Frieden und
Menschlichkeit einstehen und laut ihre Stimme erheben, wenn Schutzsuchende in
ein Land abgeschoben werden, in dem Bürgerkrieg herrscht, und in dem sie nicht
nur den Angriffen der Taliban, sondern auch denen des IS ausgesetzt sind, der
in Afghanistan immer stärker wird. Am 06. Dezember, an dem Tag, an dem in
Frankfurt wieder Menschen gegen ihren Willen in einem 300.000,- € teuren Flug nach
Afghanistan abgeschoben wurden, erschien ein Bericht[1],
dass sich in der Provinz Jawzjan, aus der etliche der von uns betreuten
Flüchtlinge stammen, 300 Kinder in der Hand des IS befinden und zu
Kindersoldaten abgerichtet werden. Die afghanische Regierung war und ist
offensichtlich nicht in der Lage, diese Kinder zu schützen. 80% des Distrikts
Darzab in dieser Provinz werden bereits vom IS kontrolliert. Und diese sunnitischen
Extremisten haben es vor allem auf die Minderheit der Hazara abgesehen, eine
Volksgruppe schiitischen Glaubens. In letzter Zeit häufen sich gezielte
Attentate auf schiitische Moscheen, schiitische Menschenansammlungen auf
Märkten, Demonstrationen und religiösen Festen. Kaum etwas davon wird noch von
den westlichen Medien registriert. Unter den Flüchtlingen aus Afghanistan, die
hier bei uns Schutz suchen, und um die wir Helfer uns kümmern, sind besonders
viele Hazara. Und viele von ihnen sind akut von Abschiebung bedroht. Aber auch
für Angehörige anderer Volksgruppen ist Afghanistan kein sicheres Land.
Nirgends! Und schon gar nicht für die Abgeschobenen, die nie in Afghanistan
gelebt haben, oder kleine Kinder waren, als ihre Familien aus dem Krieg in
eines der Nachbarländer flohen.
Wir
müssen die Werte unseres Grundgesetzes, unserer Grundrechte hochhalten, auch
das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit! Die Grundrechte wurden
geschaffen, nachdem wir die schlimmste und inhumanste Epoche unserer Geschichte
mit Millionen Toten und den grauenhaftesten Verbrechen hinter uns hatten – als
Wegweiser in eine humane, friedvolle Zukunft. Dahinter dürfen wir nicht
zurückfallen, egal was ist. Und das heißt: wir dürfen nicht zulassen, dass
junge Männer und Familien in das Kriegsland Afghanistan abgeschoben werden, in
der Regel nach Kabul, wo es eine Jugendarbeitslosigkeit von 80%[2]
gibt. Die Bevölkerung dieser Stadt ist in 15 Jahren von 500000 auf 4 – 5
Millionen angewachsen[3].
Das liegt zum einen an der Bürgerkriegssituation und der dadurch ausgelösten
Binnenflucht, zum anderen an den Abschiebungen. Iran und Pakistan haben allein
2016 über 1 Million Afghanen abgeschoben[4],
und Europa hat an die afghanische Regierung 1,2 Milliarden Euro[5] bezahlt,
damit diese ihre geflüchteten Bürger wieder zurücknimmt. Die Entwicklung der
Infrastruktur in Kabul hat in keiner Weise mit diesem Bevölkerungswachstum
mithalten können. So gibt es in ganz Kabul nur eine psychiatrische Klinik[6].
Nur eine einzige, für an die 5 Millionen Menschen, von denen ein hoher Anteil
kriegsbedingt traumatisiert ist. Trotzdem wurden und werden auch psychisch
kranke Schutzsuchende abgeschoben[7]!
Wir Helfer erleben viel Leid bei den von uns betreuten afghanischen
Flüchtlingen: wenn z. B. Vater oder Mutter bei einem Bombenattentat ums Leben
kommen, wenn Angehörige in die Hand von Extremisten geraten, wenn ein Anschlag
in der unmittelbaren Nähe des Wohnorts der Familie bekannt wird und über
Stunden oder Tage die Verbindung komplett abgeschnitten ist, so dass sie nicht
erfahren, wer von ihren lieben überlebt hat. Viele von ihnen hassen ihr Land,
das ihnen alles genommen hat: ein ungestörtes Leben in Frieden, ihre Familie, ihre
Heimat. Sie hassen es so sehr, dass sie lieber sterben wollen, als dorthin
zurückkehren zu müssen. Immer wieder haben wir Helfer es mit
Selbstmordversuchen und darum mit dem BKH zu tun.
Auf
der anderen Seite erleben wir aber auch, was eine Bleibeperspektive
beispielsweise durch eine Ausbildung bewirken kann! Wie motiviert und eifrig
sich die Flüchtlings-Azubis in ihre neuen Aufgaben stürzen! Vor allem wenn sie
von Paten gut begleitet werden, entsteht eine Win-win-Situation: Deutschland
braucht schon aus demographischen, aber auch aus ökonomischen Gründen junge,
motivierte Menschen. Wenn die Summen, die für die Abschiebeflüge aufgebracht
werden, in noch passgenauere Berufsfördermaßnahmen investiert würden, wäre
allen gedient: deutschen Arbeitgebern, die händeringend Personal und Azubis
suchen, sowie den Flüchtlingen, die sich nach Sicherheit und Frieden sehnen.
Denn Rückkehrer, die keine Arbeit, keine Wohnung, keine Sicherheit finden, sind
das gefundene Fressen für Taliban und IS, die genau solche verzweifelten und
perspektivlosen Menschen rekrutieren. Kann es in unserem, in Deutschlands, in
Europas Interesse sein, Taliban und IS regelmäßig neue Rekruten zuzuführen?
Darum
fordern wir alle auf, den Resolutionsentwurf, den wir zusammen mit dem
Flüchtlingsrat an die Stadtratsfraktionen geleitet haben, zu unterstützen. Auch
wenn die Stadt Abschiebungen nicht veranlasst, wäre es doch ein starkes
Zeichen, zu dem sich andere Städte wie München, Regensburg, Erlangen schon
längst durchgerungen haben, wenn der Augsburger Stadtrat sich dezidiert gegen
Abschiebungen nach Afghanistan ausspricht und alle Spielräume ausschöpft, diese
zu be- oder zu verhindern. Dass die Stadt diese Resolution beschließen möge und
damit ihrem Titel als Friedensstadt gerecht werde, das steht auf unserem
Wunschzettel für Weihnachten ganz weit oben!
Keine
Abschiebungen aus der Friedensstadt in ein Kriegsland!
Isabella
Geier
[1] http://ariananews.af/300-afghan-children-under-is-military-training-in-northern-afghanistan/
[2] https://www.ecoi.net/file_upload/6_1495100812_am17-3-thema-afghanistan.pdf
[3] https://www.ecoi.net/file_upload/6_1495100812_am17-3-thema-afghanistan.pdf
[4] https://www.ecoi.net/file_upload/6_1495100812_am17-3-thema-afghanistan.pdf
[5] http://www.zeit.de/politik/ausland/2017-02/europaeische-union-abkommen-afghanistan-kabul-fluechtlinge
[6] https://www.ecoi.net/file_upload/6_1495100812_am17-3-thema-afghanistan.pdf
[7] http://www.sueddeutsche.de/gesundheit/asylpaket-ii-aerzte-und-fluechtlinge-unter-generalverdacht-1.2880048
und https://www.diakonie.de/stellungnahmen/keine-abschiebungen-nach-afghanistan/