Freitag, 9. März 2018

„AnkER“ und Heimat: Menschenfeindliche Pläne der neuen Bundesregierung



„AnkER“ und Heimat: Menschenfeindliche Pläne der neuen Bundesregierung


Schiffe sind immer unterwegs, sie rasten nur kurz, um Waren oder Menschen abzuliefern, andere aufzunehmen und weiter zu transportieren. Ein Schiff, das an einem Ort vor Anker geht, wird diesen Ort auch wieder verlassen. Die im Koalitionsvertrag geplanten „AnkER“, also „zentrale Aufnahme-, Entscheidungs- und Rückführungseinrichtungen“, verfolgen eben dieses Ziel. „BAMF, BA, Jugendämter, Justiz, Ausländerbehörden und andere“ sollen dort „Hand in Hand arbeiten“,[1] nicht nur, um die Verfahren zu beschleunigen, sondern um Menschen dort bis zu ihrer Ausreise zu kasernieren. Bis zu 18 Monate sollen Menschen dort untergebracht werden (Kinder/Familien sechs Monate).[2] Die angegebene Höchstdauer könnte aufgrund der Soll-Bestimmung aber auch überschritten werden. Diese Maßnahme zielt offensichtlich auf die Zermürbung von Menschen, deren Asylverfahren lange dauern, deren Asylantrag abgelehnt wurde oder deren bereits bestehender Aufenthaltstitel wieder aberkannt wurde – beispielsweise, weil sich im Herkunftsland die Situation verbesserte.

Menschen, die in Deutschland vor Anker gehen, die einen Asylantrag stellen, sollen in diesem Land nur temporär bleiben. Die Symbolik impliziert nicht nur ihr Ankommen in einem vermeintlich sicheren Hafen, sie beinhaltet ebenso das Verlassen. Die Verfasser*innen dieses Konzepts mitsamt seiner zynischen Abkürzung gehen offenbar über Leichen. Denn auch ein Schiff, das vor Anker liegt, kann sinken. Dies lässt sich in den Prototypen dieser Lager in Bayern beobachten.
In Bayern wurden bereits entsprechende Lager eingerichtet, teilweise sind sie noch im Aufbau. Dort heißen sie „Transitzentrum“ wie in Manching/Ingolstadt, Regensburg und Deggendorf, „Zentrale Aufnahmeeinrichtung“ wie in Zirndorf bei Nürnberg, „Besondere Aufnahmeeinrichtung“ wie in Bamberg sowie schlicht „Aufnahmeeinrichtung“ wie in Schweinfurt, Donauwörth und weiteren Städten. Diese Lager sollen eine Gesamtkapazität von 17.745 Menschen erreichen. Zum Stand 18.10.2017 lebten dort 6.189 Menschen. In den einzelnen Lagern werden also mindestens hunderte, teilweise auch tausende Menschen kaserniert.[3]

Die bestehende bayerische Regelung, wonach die Menschen dort bis zu 24 Monate untergebracht werden, wird im Koalitionsvertrag explizit weiterhin ermöglicht. Während der Unterbringung in den Lagern besteht ein generelles Arbeitsverbot. Die dort Untergebrachten dürfen die Stadt oder den Landkreis, in dem sich das Lager befindet, nicht verlassen. Schulpflichtige Kinder und Jugendliche dürfen häufig keine Regelschulen besuchen und müssen stattdessen in nicht vergleichbarem Unterricht in den Lagern lernen. Die ärztliche Versorgung ist rudimentär.[4] Kurzum: Inmitten deutscher Städte und Landkreise entstehen Räume der totalen Exklusion.

Was wird in den Lagern passieren? Bei wie vielen wird Frustration in Aggression umschlagen? Wie viele werden ihre Aggression gegen sich selbst richten?[5] Wie viele nach außen? Welche medialen Bilder werden die in Massen kasernierten Menschen erzeugen? Welche Bilder werden wir sehen, wenn einer ausrastet? Oder mehrere? Wie wird der ahnungslose „besorgte Bürger“ reagieren?
Ist das die Vorstellung von Heimat, die künftig im Zuständigkeitsbereich des Innenministeriums bearbeitet werden soll? Die Gleichzeitigkeit der Repressionen gegen Geflüchtete und die Einberufung eines „Heimatministeriums“ verdeutlicht auf bitterste Weise die Dominanz eines völkisch-nationalistischen Denkens in Teilen der Bundesregierung. Heimat wird zu einem exklusiven Recht für Staatsbürger_innen. Aber Heimat ist ein Gefühl, sie ist nicht definierbar. Sie behauptet die Verbundenheit eines Menschen mit einem Ort. Wer maßt sich an, darüber zu bestimmen, welcher Mensch sich mit welchem Ort verbunden fühlt?

Das Innenministerium unter Seehofer wird Asylpolitik weiterhin und noch verstärkt unter dem Kredo „Flüchtlinge sind eine Bedrohung“ sicherheitspolitisch bearbeiten und gleichzeitig dafür Sorge tragen, dass niemand auf die Idee kommt, Menschen, die in Deutschland Asyl beantragen, könnten in irgendeiner Weise zugehörig sein oder werden und sich mit einem Ort in Deutschland verbunden fühlen. Sollten die Pläne der Bundesregierung umgesetzt werden, werden Menschen weiterhin ethnisch-national selektiert und noch verstärkt desintegriert, kriminalisiert, entmündigt und abgelehnt.


[1] Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD: Ein neuer Aufbruch für Europa. Eine neue Dynamik für Deutschland. Ein neuer Zusammenhalt für unser Land, 07.02.2018, online: https://www.ndr.de/nachrichten/koalitionsvertrag228.pdf [13.02.2018], S. 108.
[2] Ebd.
[3] Bayerischer Landtag, Drucksache 17/17526, 18.10.2017, online: https://www.bayern.landtag.de/www/ElanTextAblage_WP17/Drucksachen/Schriftliche%20Anfragen/17_0017526.pdf [13.02.2018].
[4] Bayerischer Flüchtlingsrat: Die Situation in den Lagern, online: http://www.fluechtlingsrat-bayern.de/are-bamberg.html [13.02.2018].
[5] 2016 haben vier Asylsuchende in Bayern Suizid begangen, 162 haben es versucht. Vgl. ZDF: heute+, 08.02.2018, 0:06:21-0:09:42, online: https://www.zdf.de/nachrichten/heute-plus/180208-hplus-gesamt-100.html [13.02.2018].