„AnkER“ und Heimat: Menschenfeindliche Pläne der neuen Bundesregierung
Schiffe sind immer unterwegs, sie rasten nur
kurz, um Waren oder Menschen abzuliefern, andere aufzunehmen und weiter zu transportieren.
Ein Schiff, das an einem Ort vor Anker geht, wird diesen Ort auch wieder
verlassen. Die im Koalitionsvertrag geplanten „AnkER“, also „zentrale Aufnahme-,
Entscheidungs- und Rückführungseinrichtungen“, verfolgen eben dieses Ziel. „BAMF,
BA, Jugendämter, Justiz, Ausländerbehörden und andere“ sollen dort „Hand in
Hand arbeiten“,[1] nicht
nur, um die Verfahren zu beschleunigen, sondern um Menschen dort bis zu ihrer
Ausreise zu kasernieren. Bis zu 18 Monate sollen Menschen dort untergebracht
werden (Kinder/Familien sechs Monate).[2]
Die angegebene Höchstdauer könnte aufgrund der Soll-Bestimmung aber auch
überschritten werden. Diese Maßnahme zielt offensichtlich auf die Zermürbung
von Menschen, deren Asylverfahren lange dauern, deren Asylantrag abgelehnt
wurde oder deren bereits bestehender Aufenthaltstitel wieder aberkannt wurde – beispielsweise,
weil sich im Herkunftsland die Situation verbesserte.
Menschen, die in Deutschland vor Anker gehen,
die einen Asylantrag stellen, sollen in diesem Land nur temporär bleiben. Die
Symbolik impliziert nicht nur ihr Ankommen in einem vermeintlich sicheren
Hafen, sie beinhaltet ebenso das Verlassen. Die Verfasser*innen dieses Konzepts
mitsamt seiner zynischen Abkürzung gehen offenbar über Leichen. Denn auch ein
Schiff, das vor Anker liegt, kann sinken. Dies lässt sich in den Prototypen
dieser Lager in Bayern beobachten.
In Bayern wurden bereits entsprechende Lager
eingerichtet, teilweise sind sie noch im Aufbau. Dort heißen sie „Transitzentrum“
wie in Manching/Ingolstadt, Regensburg und Deggendorf, „Zentrale
Aufnahmeeinrichtung“ wie in Zirndorf bei Nürnberg, „Besondere
Aufnahmeeinrichtung“ wie in Bamberg sowie schlicht „Aufnahmeeinrichtung“ wie in
Schweinfurt, Donauwörth und weiteren Städten. Diese Lager sollen eine Gesamtkapazität
von 17.745 Menschen erreichen. Zum Stand 18.10.2017 lebten dort 6.189 Menschen.
In den einzelnen Lagern werden also mindestens hunderte, teilweise auch
tausende Menschen kaserniert.[3]
Die bestehende bayerische Regelung, wonach die
Menschen dort bis zu 24 Monate untergebracht werden, wird im Koalitionsvertrag
explizit weiterhin ermöglicht. Während der Unterbringung in den Lagern besteht
ein generelles Arbeitsverbot. Die dort Untergebrachten dürfen die Stadt oder
den Landkreis, in dem sich das Lager befindet, nicht verlassen. Schulpflichtige
Kinder und Jugendliche dürfen häufig keine Regelschulen besuchen und müssen
stattdessen in nicht vergleichbarem Unterricht in den Lagern lernen. Die
ärztliche Versorgung ist rudimentär.[4]
Kurzum: Inmitten deutscher Städte und Landkreise entstehen Räume der totalen Exklusion.
Was wird in den Lagern passieren? Bei wie
vielen wird Frustration in Aggression umschlagen? Wie viele werden ihre
Aggression gegen sich selbst richten?[5]
Wie viele nach außen? Welche medialen Bilder werden die in Massen kasernierten
Menschen erzeugen? Welche Bilder werden wir sehen, wenn einer ausrastet? Oder
mehrere? Wie wird der ahnungslose „besorgte Bürger“ reagieren?
Ist das die Vorstellung von Heimat, die
künftig im Zuständigkeitsbereich des Innenministeriums bearbeitet werden soll?
Die Gleichzeitigkeit der Repressionen gegen Geflüchtete und die Einberufung
eines „Heimatministeriums“ verdeutlicht auf bitterste Weise die Dominanz eines
völkisch-nationalistischen Denkens in Teilen der Bundesregierung. Heimat wird
zu einem exklusiven Recht für Staatsbürger_innen. Aber Heimat ist ein Gefühl,
sie ist nicht definierbar. Sie behauptet die Verbundenheit eines Menschen mit
einem Ort. Wer maßt sich an, darüber zu bestimmen, welcher Mensch sich mit
welchem Ort verbunden fühlt?
Das Innenministerium unter Seehofer wird
Asylpolitik weiterhin und noch verstärkt unter dem Kredo „Flüchtlinge sind eine
Bedrohung“ sicherheitspolitisch bearbeiten und gleichzeitig dafür Sorge tragen,
dass niemand auf die Idee kommt, Menschen, die in Deutschland Asyl beantragen,
könnten in irgendeiner Weise zugehörig sein oder werden und sich mit einem Ort
in Deutschland verbunden fühlen. Sollten die Pläne der Bundesregierung
umgesetzt werden, werden Menschen weiterhin ethnisch-national selektiert und
noch verstärkt desintegriert, kriminalisiert, entmündigt und abgelehnt.
[1] Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD: Ein neuer Aufbruch für
Europa. Eine neue Dynamik für Deutschland. Ein neuer Zusammenhalt für unser
Land, 07.02.2018, online: https://www.ndr.de/nachrichten/koalitionsvertrag228.pdf
[13.02.2018], S. 108.
[2] Ebd.
[3] Bayerischer Landtag, Drucksache 17/17526, 18.10.2017, online: https://www.bayern.landtag.de/www/ElanTextAblage_WP17/Drucksachen/Schriftliche%20Anfragen/17_0017526.pdf
[13.02.2018].
[4] Bayerischer Flüchtlingsrat: Die Situation in den Lagern, online: http://www.fluechtlingsrat-bayern.de/are-bamberg.html
[13.02.2018].
[5] 2016 haben vier Asylsuchende in Bayern Suizid begangen, 162 haben es
versucht. Vgl. ZDF: heute+, 08.02.2018, 0:06:21-0:09:42, online: https://www.zdf.de/nachrichten/heute-plus/180208-hplus-gesamt-100.html
[13.02.2018].