GRENZEN ÖFFNEN –
MENSCHENRECHTE WAHREN
Redebeitrag des Augsburger Flüchtlingsrates zur Kundgebung am 09.03.2020
Redebeitrag des Augsburger Flüchtlingsrates zur Kundgebung am 09.03.2020
Liebe Protestierenden!
Danke, dass ihr alle heute hier seid!
Wir werden in diesen Tagen nicht nur von einem Virus
bedroht. Gegen den gefährlichlichsten von diesen uns attackierenden Viren hilft
keine Pille und kein Händewaschen.
Dieser Virus greift die gesamte Europäische Union an und hat
sich auch in Deutschland massiv ausgebreitet – diese tödliche Krankheit besteht
aus Neuen Rechten und Neo-Nazis, und sie ist verbunden mit Rassismus,
Anti-Feminismus, Homophobie, Antisemitismus und Islam-Feindlichkeit.
Diese Erkrankung ist schon soweit fortgeschritten, dass man
den Geflüchteten, die sich an der türkisch-griechischen Grenze in einer
lebensbedrohlichen Situation befinden, nicht die geringste Hilfe gewährt.
Diese totale humanitäre Bankrotterklärung Deutschlands und
des Friedensnobelpreisträgers EU hatte sich schon mit dem Verrat an den
kurdischen Kämpfer*innen, die Europa gegen den IS verteidigt haben, angebahnt,
und mit dem dreckigen Deal mit dem Despoten Erdogan.
Und jetzt diese Steigerung – jetzt sieht es so aus, als
hätten die Faschisten bereits gewonnen:
Neo-Nazis haben den bekannten antifaschistischen Slogan „Nie
wieder Faschismus" übernommen und mit ihrem „Nie wieder 2015"
pervertiert. Das konnte man erwarten. Aber alle Politiker*innen der
bürgerlichen Mitte stimmen ihnen zu – von CSU bis SPD und sogar von weiter
links kommt dieses „Nie wieder 2015". Als wäre der humanitäre Akt 2015
eine Katastrophe gewesen, die wir heute noch spüren.
Als damals von AfD-Politiker*innen gefordert wurde, notfalls
die EU-Grenzen gegen Flüchtende mit Waffengewalt zu sichern, war der Protest
von bürgerlichen Politiker*innen groß – und heute wird die Grenze mit mehr
Frontex-Einsatz dichtgemacht; es wird nicht nur Tränengas eingesetzt, es wird
auf Menschen geschossen. Und die angeblich unsere Demokratie bewahrenden
Politiker*innen finden das in Ordnung. Das europäische Asylrecht und die
Menschenrechte interessieren offensichtlich nicht mehr. Und die auch mit
Stimmen von ganz rechts gewählte EU-Präsidentin Ursula von der Leyen bestärkt
sogar die griechische Regierung darin, das EU-Asylrecht zu brechen.
Eine ganz besondere, vor den AfD-Faschisten klein beigebende
Aktion leistete sich der deutsche Bundestag: Ein Antrag, wenigstens 5000
besonders Schutzbedürftige aus dem Krisengebiet aufzunehmen, wurde mit fast
allen Stimmen der Koalition und AfD und FDP abgelehnt. Nur die Grünen und Die
Linken stimmten geschlossen dafür. Nur 3 Stimmen der christlichen Parteien und
nur 2 Stimmen der Sozialdemokraten waren für die Aufnahme der geringen Anzahl
von 5000 Schutzbedürftigen – da fallen uns keine höflichen Kommentare mehr ein.
Die Nachrichten-Meldung von heute ändert daran nicht viel:
Die Große Koalition hat entschieden, dass „1000 bis1500 besonders
schutzbedürftige Kinder und Jugendliche" aufgenommen werden. Das ist schon
eine irre Leistung für eines der reichsten Länder der Welt.
Natürlich haben wir mit einem gewissen Respekt zur Kenntnis
genommen, dass der bayerische Ministerpräsident kürzlich an einer Demonstration
gegen die AfD teilgenommen und gesprochen hat. Aber wir werden so schnell nicht
vergessen, dass er, wie auch der heutige Innenminister Seehofer, 2015 auf eine
Art gegen die Aufnahme von Geflüchteten gesprochen hat, die von der AfD kaum zu
unterscheiden war.
Wir erlauben uns die Frage, was Söders Äußerungen gegen die
Rechten wert sind, wenn die deutschen Behörden nicht einmal in der Lage sind,
Neo-Nazis davon abzuhalten, an der griechisch-türkischen Grenze
einzumarschieren und Geflüchtete und Helfer*innen und Antifaschisten
anzugreifen.
Das ist der Trugschluss der demokratischen Mitte: Sie
stimmen in den Slogan der Rechten „Nie wieder 2015!" ein und glauben,
damit den Vormarsch des rechten Packs aufzuhalten. Sie ignorieren das
universelle Menschenrecht auf Asyl und glauben, damit Europa zu bewahren.
Wenn das ihre Vorstellung von Deutschland und Europa ist,
dann können wir da kaum noch was erkennen, was man bewahren müsste – mit der
deutschen Geschichte im Rücken ist das nicht möglich.
Dennoch, es gibt Hoffnung: In der Bundesrepublik haben sich
inzwischen 138 Städte und Landkreise zu Sicheren Häfen erklärt und sind bereit,
Geflüchtete aufzunehmen. In Bayern sind es 13 Städte, die Friedensstadt
Augsburg ist leider nicht dabei.
Und es gibt außerdem das neue Gutachten einer
Rechtsanwaltskanzlei, das laut „Redaktionsnetzwerk Deutschland" besagt:
„Sowohl das Grundgesetz als auch das einfache Recht gewähren den deutschen
Bundesländern substantiellen Spielraum, Maßnahmen zur Aufnahme von Flüchtenden
aus humanitären Notlagen zu ergreifen".
Und das heißt, dass Bayern sehr wohl etwas tun könnte, falls
man endlich aufhören würde, sich auf die Erwartung einer generellen EU-Haltung
rauszureden; und falls man sich auf das Recht auf Asyl und christliche Werte
besinnen möchte; und falls der Ministerpräsident und die anderen Demokraten es
ernst damit meinen, gegen die AfD vorzugehen.
Und das heißt natürlich auch, dass wir von der Stadt
Augsburg fordern, egal wie der Stadtrat jetzt aussehen wird, sich den Sicheren
Hafenstädten anzuschließen und auf die Bayerische Staatsregierung so
einzuwirken, wie es für eine Stadt würdig ist, die sich als
„Friedensstadt" bezeichnet.
Wir wissen im Moment nicht, was der Corona-Virus alles
verändern wird – aber wir sind der Meinung, dass eine Ausbreitung des
Nazi-Virus viel gefährlicher ist und zu Veränderungen führen wird, die wir
verhindern können und müssen.
Für unsere Arbeit als Flüchtlingsrat ist es nicht so
wahnsinnig wichtig, stolz auf Deutschland zu sein – wir wären schon zufrieden
damit, uns weniger dafür schämen zu müssen.
Danke für eure Aufmerksamkeit und dass ihr alle heute hier
seid!