Lessenich demaskierte so nicht nur den Mythos, alle könnten von einer
globalisierten Weltwirtschaft profitieren. Er entwickelte ferner die
Doppelgeschichte – „wenn einer gewinnt, verlieren andere“ – weiter: „Es geht
noch um eine weitere, dritte Geschichte: um die Abwehr des Wissens um ebendiese
Doppelgeschichte, um deren Verdrängung aus unserem Bewusstsein, um ihre Tilgung
aus den gesellschaftlichen Erzählungen individuellen und kollektiven ‚Erfolgs‘.
Wer von unserem Wohlstand hierzulande redet, dürfte von den damit verbundenen,
verwobenen, ja ursächlich zusammenhängenden Nöten anderer Menschen andernorts
nicht schweigen. Genau das aber ist es, was ununterbrochen geschieht.“
Damit macht er auf den
Externalisierungshabitus aufmerksam, der nicht zuletzt ein selbstverständliches
und zugleich rücksichtsloses Konsumverhalten beschreibt. Explizit ging es ihm dabei
nicht um eine Kritik der Konsument*innen, sondern um ein politisches
Verständnis und einen politischen Ansatz als Antwort auf die Ungleichheiten.
Sein Buch „Neben uns die Sintflut“ ist soziologische Analyse und moralischer
Appell zugleich. Die Zerstörung der Lebens- und Arbeitsbedingungen im Süden,
der einsetzende und maßgeblich durch den globalen Norden verursachte
Klimawandel sowie Kriege und Konflikte führten dazu, dass die Effekte dieser
Auslagerungsprozesse zunehmend auf die hoch entwickelten Gesellschaften zurückschlagen.
Fluchtmigration ist daher nicht als ein isoliertes Problem derjenigen Länder zu
verstehen, welche Menschen aufgrund von Kriegen, Klimaveränderungen oder
wirtschaftlicher und sozialer Perspektivlosigkeit verlassen. Die Entwicklungen
von Migration sind untrennbar mit dem Kapitalismus und den Auslagerungsprozessen
verwoben. Die Migration hält uns im globalen Norden den Spiegel unserer
Auslagerungsmechanismen vor. Deshalb sollten wir unseren Anteil an der globalen
Ungleichheit betrachten um so zu einer aufrichtigeren und selbstreflexiven
Debatte über Fluchtursachen und die geeigneten Mechanismen zu deren Bekämpfung
zu gelangen.