Freitag, 22. März 2019

Gastbeitrag von Dr. Eilsabeth Friedrichs


Redebeitrag, gehalten auf der FlüRa-Kundgebung am 22.12.2018



Liebe Freundinnen und Freunde,

Ich bin Ärztin und seit vielen Jahren in Augsburg in der Medizinischen Unterstützung von Geflüchteten tätig. Derzeit ist für uns die zunehmende Unsicherheit vieler Geflüchteter insbesondere die begründete Angst vor Abschiebung ein zunehmendes Therapiehindernis, insbesondere in der Traumatherapie. Neben der medizinischen Tätigkeit ist somit auch ein politisches Engagement erforderlich. 

Anfang Dezember erschien anlässlich des Jahrestages „70 Jahre Menschenrechte“ das Buch „Todesursache Flucht“. Es basiert auf einer Liste von „UNITED for intercultural Action“, die seit Anfang 1993, all diejenigen zu erfassen versucht, die als Asylsuchende, Geflüchtete und sonstige Menschen auf der Suche nach einem besseren Leben auf dem Weg nach und in Europa gewaltsam zu Tode gekommen sind. An dem Buch sind viele Organisationen mitbeteiligt wie z. B.  die Betreiber des im Mittelmeer aktiven Rettungsschiffes „Sea Eye“, Pax Christi, Hilfe für Afrika oder auch Pro Asyl.

Dessen Vertreter Bernd Mesovic erinnert an die Boat-People aus Vietnam, als es hieß, das „Boot“ sei „voll“. Er schreibt: „Das Boot ist niemals voll gewesen. Die Indochinaflüchtlinge sind derart integriert, dass nicht einmal sie in der aktuellen Debatte zu hören sind. … Die Liste der Toten ist also auch eine Fortschreibung der ungeschriebenen Liste der Schiffbrüchigen aus den Katastrophen der Geschichte. Rettung ist die Aufgabe. Zu ihrem Gedächtnis.“ (S 21)

Der Titel des Buches macht stutzig. Wenn ich als Ärztin eine Todesbescheinigung ausstelle, bin ich bei der Nennung der Todesursache an den Internationalen „Code of Diseases“ (ICD10) gebunden. Dieser enthält keine Diagnose  „Flucht“, wohl aber folgende zum Tode führenden Erkrankungen:
Ertrinken und nichttödliches Untertauchen, G. {T75.1G}; Erstickung, G. {T71G}; Verdursten, G. {T73.1G}; Schaden durch niedrige Temperatur, nicht näher bezeichnet, G. {T69.9G}; Schäden durch Hunger, G. {T73.0G}; Körperliche Gewalt, G. {R45.6G}; Sexueller Missbrauch, G. {T74.2G}; Verletzung, nicht näher bezeichnet, G. {T14.9G}; Schaden durch niedrige Temperatur, nicht näher bezeichnet, G. {T69.9G}; Vernachlässigung oder Imstichlassen (T74,0)

Die meisten im Buch aufgeführten Menschen haben eines oder mehreres dieser Schicksale erlitten, und sie wären aller Voraussicht nach nicht gewaltsam zu Tode gekommen, wenn sie sichere Reisewege gehabt hätten. Und somit haben die Herausgeberinnen Kristina Milz und Anja Tuckermann vollkommen recht mit dem Titel „Todesursache Flucht“. 
Als Untertitel haben sie gewählt:  „Eine unvollständige Liste“. Es werden über 35.000 Personen aufgelistet, die meisten bleiben anonym. Namen, manchmal auch Bild und Schicksal einiger Weniger konnten nachverfolgt werden. So konnten Autoren, die teilweise aus den Herkunftsländern der Opfer stammen, diesen posthum noch etwas von ihrer Würde geben.
Ein Beispiel: Der 20jährige Lamina Conde aus Sierra Leone, krank an einem Leberkrebs, wurde aus Passau nach Italien abgeschoben, lebte dort auf der Straße, schaffte es dann wieder nach Deutschland. Nach behördlichen Widerständen konnte er in einer Klinik aufgenommen werden, wo ihn die Polizei drei Tage vor seinem Tod auf Anweisung der Ausländerbehörde abholen wollte zur Abschiebung. Die Ärzte verhinderten das.  

Es kommen auch einige Persönlichkeiten aus dem öffentlichen Leben zu Wort, so Heribert Prantl, Mitglied der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung: „Das Elend der Flüchtlinge, die … nach Europa fliehen wollen, ist zum Heulen. Zum Heulen ist auch die EU-Flüchtlingspolitik. Sie leidet an Bürokratismus, Heuchelei und Hinterfotzigkeit.  … Wenn es bei der Rettung des Euro so kläglich wenig Einsatz gegeben hätte, wie bei der Rettung von Flüchtlingen: Es gäbe den Euro schon längst nicht mehr." (S. 20/21) 

Das Deckblatt des offiziellen Dokuments zur Todesbescheinigung trägt die Bezeichnung „Todesbescheinigung für Bayern“. Schon seit langem denke ich darüber nach, ob es denn wirklich so weit ist, dass dem derzeit so hochgefeierten Freistaat Bayern bald der Tod bescheinigt werden müsste und welche Ursachen hier in Frage kommen könnten.
Hierzu folgender Gedanke: Es gibt in der medizinischen Literatur Hinweise, dass nicht nur einsame, sondern auch sehr ehrgeizige und „hartherzige“ Menschen ein hohes Potential habe, eine gefährliche Herzerkrankung zu erleiden. (Umgangssprachlich „Herz aus Stein“) Ihr Herz kann nicht nur seelisch im übertragenen Sinne, sondern auch körperlich richtig mitschwingen, es ist starr geworden. Genauso wenig wie die „Todesursache Flucht“ gibt es allerdings eine Todesursache „Hartherzigkeit“ im ICD10. Wohl aber finden sich Erkrankungen wie „Mangel an Empathie“ das als eine Umschreibung der Diagnose „Narzisstische Störung“ (ICD10  F 60.8) genannt wird, eine andere Umschreibung dieser Diagnose besteht in: „Hat ein grandioses Gefühl der eigenen Wichtigkeit“, was sicherlich nicht nur für Personen mit Macht, aber wohl auf Einige hierunter zutreffen könnte. Gesund sind „Hartherzigkeit“ und „Mangel an Empathie“ also nicht. Dass für Bayern derzeit keine Gefahr besteht, ihm den Tod zu bescheinigen, es im Gegenteil quicklebendig und zunehmend bunter wird, könnte somit an den vielfältigen Initiativen und großen Zahl von Menschen bis in den Landtag hinein liegen, die gegen Hass und Hetze aufstehen,  ein Interesse an einem guten Zusammenleben Aller haben und Mitgefühl und Empathie leben. Das macht Hoffnung.

Abschließend:
Die Historikerin Dr. Angela Hermann schreibt in dem Buch „Todesursache Flucht“:  „Wir Europäer  haben angesichts unserer Geschichte eine besondere Verantwortung für die Menschheit, insbesondere für diejenigen, die durch die von uns produzierten Bomben vertrieben werden, die vor den von uns verursachten Katastrophen  flüchten.“ Sie beendet ihren Beitrag mit folgenden Worten: „Wenn man eines aus der Geschichte lernen kann, dann ist es die Erkenntnis, dass sich Inhumanität zunächst gegen die Schwächsten richtet, bevor sie sich wie ein Flächenbrand ausbreitet.“ (S. 89).
Angela Herrmann ist Historikerin am NS-Dokumentationszentrum München. Sie mahnt, dass es jetzt nach fast 80 Jahren erst recht unbedingt notwendig ist, die Verbrechen der Nationalsozialisten nicht in Vergessenheit geraten zu lassen oder zu verharmlosen.
Einen Beitrag hierzu möchte die „ErinnerungsWerkstatt Augsburg“ leisten, die Biographien von Augsburger Opfern des Nationalsozialismus in einem Online-Gedenkbuch allgemein zugänglich macht. Zudem gibt es Erinnerungszeichen wie Stolpersteine und z.B. die sog. „Erinnerungsbänder“, die am letzten freiwilligen Augsburger Wohnort von Opfern des Nazi-Regimes aufgestellt werden.

Sie werden von „Paten“ gespendet, Personen, die sich dem Schicksal dieser Menschen aus unterschiedlichen Gründen besonders verbunden fühlen.

Das letzte Erinnerungsband wurde am Dienstag, 12. Februar, um 15 Uhr vor der ehemaligen Synagoge Augsburg- Kriegshaber in der Ulmerstraße 228 aufgestellt. Es ist der Familie Zebrak gewidmet. Josef Zebrak war Vorbeter und Religionslehrer in Kriegshaber. Er wurde1942 in der Tötungsanstalt Bernburg/Saale ermordet. Seine Frau und seine drei Töchter 1942 in das Getto Piaski bei Lublin verschleppt und anschließend vermutlich im Vernichtungslager Belzec ermordet.

Dr. med. Elisabeth Friedrichs