Redebeitrag, gehalten auf der FlüRa-Kundgebung am 22.12.2018
Liebe Freundinnen und Freunde,
Ich bin Ärztin und seit vielen Jahren in
Augsburg in der Medizinischen Unterstützung von Geflüchteten tätig. Derzeit ist
für uns die zunehmende Unsicherheit vieler Geflüchteter insbesondere die
begründete Angst vor Abschiebung ein zunehmendes Therapiehindernis,
insbesondere in der Traumatherapie. Neben der medizinischen Tätigkeit ist somit
auch ein politisches Engagement erforderlich.
Anfang Dezember erschien anlässlich des
Jahrestages „70 Jahre Menschenrechte“ das Buch „Todesursache Flucht“. Es basiert
auf einer Liste von „UNITED for intercultural Action“, die seit Anfang 1993,
all diejenigen zu erfassen versucht, die als Asylsuchende, Geflüchtete und sonstige
Menschen auf der Suche nach einem besseren Leben auf dem Weg nach und in Europa
gewaltsam zu Tode gekommen sind. An dem Buch sind viele Organisationen
mitbeteiligt wie z. B. die Betreiber des
im Mittelmeer aktiven Rettungsschiffes „Sea Eye“, Pax Christi, Hilfe für
Afrika oder auch Pro Asyl.
Dessen Vertreter Bernd Mesovic erinnert an die
Boat-People aus Vietnam, als es hieß, das „Boot“ sei „voll“. Er schreibt: „Das
Boot ist niemals voll gewesen. Die Indochinaflüchtlinge sind derart integriert,
dass nicht einmal sie in der aktuellen Debatte zu hören sind. … Die Liste der
Toten ist also auch eine Fortschreibung der ungeschriebenen Liste der Schiffbrüchigen
aus den Katastrophen der Geschichte. Rettung ist die Aufgabe. Zu ihrem
Gedächtnis.“ (S 21)
Der Titel des Buches macht stutzig. Wenn ich
als Ärztin eine Todesbescheinigung ausstelle, bin ich bei der Nennung der
Todesursache an den Internationalen „Code of Diseases“ (ICD10) gebunden. Dieser
enthält keine Diagnose „Flucht“, wohl
aber folgende zum Tode führenden Erkrankungen:
Ertrinken und nichttödliches Untertauchen, G.
{T75.1G}; Erstickung, G. {T71G}; Verdursten, G. {T73.1G}; Schaden durch
niedrige Temperatur, nicht näher bezeichnet, G. {T69.9G}; Schäden durch Hunger,
G. {T73.0G}; Körperliche Gewalt, G. {R45.6G}; Sexueller Missbrauch, G.
{T74.2G}; Verletzung, nicht näher bezeichnet, G. {T14.9G}; Schaden durch
niedrige Temperatur, nicht näher bezeichnet, G. {T69.9G}; Vernachlässigung oder
Imstichlassen (T74,0)
Die meisten im Buch aufgeführten Menschen
haben eines oder mehreres dieser Schicksale erlitten, und sie wären aller
Voraussicht nach nicht gewaltsam zu Tode gekommen, wenn sie sichere Reisewege
gehabt hätten. Und somit haben die Herausgeberinnen Kristina Milz und Anja
Tuckermann vollkommen recht mit dem Titel „Todesursache Flucht“.
Als Untertitel haben sie gewählt: „Eine unvollständige Liste“. Es werden über
35.000 Personen aufgelistet, die meisten bleiben anonym. Namen, manchmal auch
Bild und Schicksal einiger Weniger konnten nachverfolgt werden. So konnten Autoren,
die teilweise aus den Herkunftsländern der Opfer stammen, diesen posthum noch etwas
von ihrer Würde geben.
Ein Beispiel: Der 20jährige Lamina Conde aus
Sierra Leone, krank an einem Leberkrebs, wurde aus Passau nach Italien
abgeschoben, lebte dort auf der Straße, schaffte es dann wieder nach
Deutschland. Nach behördlichen Widerständen konnte er in einer Klinik
aufgenommen werden, wo ihn die Polizei drei Tage vor seinem Tod auf Anweisung
der Ausländerbehörde abholen wollte zur Abschiebung. Die Ärzte verhinderten
das.
Es kommen auch einige Persönlichkeiten aus dem
öffentlichen Leben zu Wort, so Heribert Prantl, Mitglied der Chefredaktion der
Süddeutschen Zeitung: „Das Elend der Flüchtlinge, die … nach Europa fliehen
wollen, ist zum Heulen. Zum Heulen ist auch die EU-Flüchtlingspolitik. Sie
leidet an Bürokratismus, Heuchelei und Hinterfotzigkeit. … Wenn es bei der Rettung des Euro so kläglich
wenig Einsatz gegeben hätte, wie bei der Rettung von Flüchtlingen: Es gäbe den
Euro schon längst nicht mehr." (S. 20/21)
Das Deckblatt des offiziellen Dokuments zur Todesbescheinigung
trägt die Bezeichnung „Todesbescheinigung für Bayern“. Schon seit langem denke
ich darüber nach, ob es denn wirklich so weit ist, dass dem derzeit so
hochgefeierten Freistaat Bayern bald der Tod bescheinigt werden müsste und
welche Ursachen hier in Frage kommen könnten.
Hierzu folgender Gedanke: Es gibt in der
medizinischen Literatur Hinweise, dass nicht nur einsame, sondern auch sehr
ehrgeizige und „hartherzige“ Menschen ein hohes Potential habe, eine gefährliche
Herzerkrankung zu erleiden. (Umgangssprachlich „Herz aus Stein“) Ihr Herz kann
nicht nur seelisch im übertragenen Sinne, sondern auch körperlich richtig
mitschwingen, es ist starr geworden. Genauso wenig wie die „Todesursache
Flucht“ gibt es allerdings eine Todesursache „Hartherzigkeit“ im ICD10. Wohl
aber finden sich Erkrankungen wie „Mangel an Empathie“ das als eine
Umschreibung der Diagnose „Narzisstische Störung“ (ICD10 F 60.8) genannt wird, eine andere Umschreibung
dieser Diagnose besteht in: „Hat ein grandioses Gefühl der eigenen Wichtigkeit“,
was sicherlich nicht nur für Personen mit Macht, aber wohl auf Einige hierunter
zutreffen könnte. Gesund sind „Hartherzigkeit“ und „Mangel an Empathie“ also nicht.
Dass für Bayern derzeit keine Gefahr besteht, ihm den Tod zu bescheinigen, es
im Gegenteil quicklebendig und zunehmend bunter wird, könnte somit an den vielfältigen
Initiativen und großen Zahl von Menschen bis in den Landtag hinein liegen, die gegen
Hass und Hetze aufstehen, ein Interesse
an einem guten Zusammenleben Aller haben und Mitgefühl und Empathie leben. Das
macht Hoffnung.
Abschließend:
Die Historikerin Dr. Angela Hermann schreibt
in dem Buch „Todesursache Flucht“: „Wir
Europäer haben angesichts unserer Geschichte
eine besondere Verantwortung für die Menschheit, insbesondere für diejenigen,
die durch die von uns produzierten Bomben vertrieben werden, die vor den von
uns verursachten Katastrophen flüchten.“
Sie beendet ihren Beitrag mit folgenden Worten: „Wenn man eines aus der
Geschichte lernen kann, dann ist es die Erkenntnis, dass sich Inhumanität
zunächst gegen die Schwächsten richtet, bevor sie sich wie ein Flächenbrand
ausbreitet.“ (S. 89).
Angela Herrmann ist Historikerin am
NS-Dokumentationszentrum München. Sie mahnt, dass es jetzt nach fast 80 Jahren
erst recht unbedingt notwendig ist, die Verbrechen der Nationalsozialisten nicht
in Vergessenheit geraten zu lassen oder zu verharmlosen.
Einen Beitrag hierzu möchte die
„ErinnerungsWerkstatt Augsburg“ leisten, die Biographien von Augsburger Opfern
des Nationalsozialismus in einem Online-Gedenkbuch allgemein zugänglich macht.
Zudem gibt es Erinnerungszeichen wie Stolpersteine und z.B. die sog.
„Erinnerungsbänder“, die am letzten freiwilligen Augsburger Wohnort von Opfern
des Nazi-Regimes aufgestellt werden.
Sie werden von „Paten“ gespendet, Personen,
die sich dem Schicksal dieser Menschen aus unterschiedlichen Gründen besonders
verbunden fühlen.
Das letzte Erinnerungsband wurde am Dienstag,
12. Februar, um 15 Uhr vor der ehemaligen Synagoge Augsburg- Kriegshaber in
der Ulmerstraße 228 aufgestellt. Es ist der Familie
Zebrak gewidmet. Josef Zebrak war Vorbeter und Religionslehrer in Kriegshaber.
Er wurde1942 in der Tötungsanstalt Bernburg/Saale ermordet. Seine Frau und
seine drei Töchter 1942 in das Getto Piaski bei Lublin verschleppt und
anschließend vermutlich im Vernichtungslager Belzec ermordet.
Dr. med. Elisabeth Friedrichs